Treffpunkt Hvide Stue. Ein schiefes Gasthaus, auch schon über 400 Jahre alt, im Schatten der mächtigen Domkirche. Touristen versammeln sich vor dem Fachwerkhaus zum abendlichen Rundgang mit dem Nachtwächter. Der trägt in seiner rechten Hand seine mörderische Waffe, einen Morgenstern, in der linken eine Laterne mit brennender Kerze.
400 Jahre altes Gasthaus Hvide Stue
Ribe hat beeindruckende historische Superlative vorzuweisen: Älteste Stadt Skandinaviens mit dem ältesten Dom Dänemarks, im Mittelalter bedeutendste Stadt Skandinaviens und gleichzeitig die Stadt mit dem strengsten Strafgericht im Königreich.
Im Jahr 1269 hatten Ribes Stadtväter mit königlicher Erlaubnis ein eigenes Strafrecht in Kraft gesetzt. Eines, das viel schärfer war als das vorherige Jütische Recht. Diebe beispielsweise wurden unterschiedlich bestraft: Männer wurden aufgehängt, Frauen lebendig begraben, mit einem Eimer über dem Kopf. Mörder verloren denselben.
In diesen Zeiten verrichten Nachtwächter einen beschwerlichen und gefahrvollen Dienst in der verwinkelten Stadt. Eine Nachtschicht dauert bei kargem Lohn neun Stunden. Nachtwächter sollen auf ihren Rundgängen nicht nur die vollen Stunden ausrufen, sie sollen die schlummernden Einwohner auch vor Feuersgefahr und Hochwasser bewahren. Das gelingt nicht immer.
So vernichtet im Jahr 1580 ein gewaltiger Brand 240 eng bei einander stehende Häuser – und damit fast den gesamten Stadtkern. Es soll nicht die letzte Feuersbrunst bleiben. Irgendwann streichen die Bürger ihre Häuser nicht mehr mit roter, sondern mit weißer Farbe. Der Nachtwächter aus unserer Zeit kennt den Grund: „Eine weiße Stadt ist eine arme Stadt.“ Ribe hatte seine wirtschaftliche Bedeutung eingebüßt und der xte Wiederaufbau überstieg nun endgültig die Finanzkraft seiner erschöpften Bewohner.
Insbesondere Ribes Blütezeit als bedeutendste Stadt Skandinaviens lockt (trotz scharfen Strafrechts) auch dunkle Gestalten in die reiche Stadt. Um 1450 ist die Handelsmetropole Ribe bedeutender als Kopenhagen oder Malmö. Auf sich allein gestellt sollen schlecht bezahlte Nachtwächter in ihrer pulsierenden Stadt für Ordnung sorgen. Im Kerzenschein Spießgesellen erspähen, verscheuchen oder wenn nötig kampfunfähig machen.
Nicht zu allen Zeiten waren Ribes Nachtwächter mit dem Morgenstern ausgerüstet. Diese fürchterliche Hieb- und Stichwaffe mit Eisenspitzen und Holzkugel wird ihnen erst erlaubt, nachdem ein Nachtwächter bei den Stadtwiesen ermordet aufgefunden wird. Man fing beide Täter und Ribes Stadtväter fragten bei ihrem König an, was mit ihnen geschehen solle. Die Mörder des Nachtwächters werden enthauptet, ihre Köpfe gepfählt und noch lange auf der „Haupt“-Wiese zur Schau gestellt.
Irgendwann müssen die begüterten Stadtoberen eingeehen haben, dass ihre Nachtwächter für gefährliche Arbeit einen erbärmlich kargen Lohn bekommen und dass es so nicht weiter gehen kann. So wird den Ordnungshütern erlaubt, einmal im Jahr, kurz vor Weihnachten, bei den Bürgern um Spenden zu bitten. Die meisten schenken ihren Nachtwächtern weiße Kerzen für die Laterne. Das Geschenk muss niemand kaufen. Ribes verarmte Bürger haben auch nichts, sie ziehen die Kerzen an langen Winterabenden.
Neuzeit trifft Historie: Autos parken am Stadthafen vor einst stattlichen Backsteinhäusern
Ribes Hafen war einst ein bedeutender Handelsplatz, hier begann Ribes Blütezeit